Uli Beckerhoff ist ein überaus freundlicher und höflicher Mann. Der Professor mit der Trompete ist Künstlerischer Leiter der Jazzahead in Bremen und hat die Ruhe weg. Das halbstündige Gespräch mit dem 70-Jährigen war ein Genuss. Was er Oliver Schulz zu sagen hatte, lest ihr hier.
Herr Beckerhoff, Sie sind gerade 70 Jahre alt geworden und stark beschäftigt. Haben Sie sich überhaupt Zeit genommen, Rückschau zu halten?
Eigentlich bin ich ein Mensch, der immer lieber nach vorne schaut. Aber für mein Plattenlabel habe ich eine Compilation der vergangenen 45 Jahre meiner Arbeit erstellt. Da ließ es sich nicht vermeiden zurückzuschauen und ich habe es gerne getan und viel Überraschendes in der Retrospektive gehört.
Sie spielen im Quartett mit drei jungen Musikern, die locker ihre Söhne sein könnten. Wie beschreiben Sie die Zusammenarbeit?
Das ist eine beiderseits befruchtende Arbeit. Ich habe alle drei, also Richard Brenner, Moritz Götzen und Niklas Walter, auf der Folkwang Universität der Künste in Essen unterrichtet, kenne sie somit schon lange und sehe, wie sie sich in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Und ich lerne wiederum von ihnen, wie und mit welchen Mitteln sie sich in der Welt des Jazz heutzutage durchsetzen müssen.
Was meinen Sie?
Naja, heute ist jeder junge Jazzmusiker auch sein eigener Marketing-Medien-Manager. Es gibt immer mehr hervorragend ausgebildete Hochschulabsolventen, die auf sich aufmerksam machen müssen, zum Beispiel in den sozialen Medien. Sie müssen also viel stärker mit den diversen Zielgruppen, also Musikverlagen, Produzenten, Veranstaltern und Publikum, kommunizieren können.
Aber Sie kennt man doch auch als kommunikativen Musiker.
Ich musste dies auch erst einmal lernen und kommuniziere heute sehr gerne mit meinem Publikum. Während des Konzerts und auch hinterher. Mir liegt sehr viel daran, den Raum zwischen Publikum und uns Musikern auf der Bühne durch meine Art der Ansprache zu überwinden. Das ist mir sehr wichtig.
Dabei haftet Jazzmusikern doch immer noch das Klischee an, beim Spielen und beim Reden nur auf die eigenen Schuhe zu starren.
Früher waren vielleicht einige Kollegen ein bisschen introvertierter. Aber damit kann ich nichts anfangen. Ich will auf unterschiedlichste Art mit allen Menschen im Publikum und auf der Bühne kommunizieren.
Was bedeutet das?
Ich habe den Umbruch in der Gesellschaft als ein sogenannter Alt-68er selber erlebt. Das können sich viele heute so nicht mehr vorstellen. Auf einmal öffnete sich ein riesiges Tor und es entstanden ganz neue Möglichkeiten, um sein Leben und die Musik selbstbestimmt zu gestalten.
Wie haben Sie die neuen Chancen genutzt?
Zum Beispiel, dass wir Jazzmusiker verstärkt den direkten Kontakt zu Musikern in aller Welt gesucht haben. Wir waren neugierig auf Weltmusik, auf Freejazz, und haben alles aufgesaugt, was wir gesehen und gehört haben. Das war enorm wichtig, um auf lange Sicht ein eigenes musikalisches Profil zu entwickeln. Es gab beispielsweise noch kein Real Book, die Sammlung der Jazzstandards, keine Lehrmethoden und man musste sich von Schallplatten alles, was man wissen wollte selber heraushören und transkribieren.
Jungen Musikern steht heute die Videoplattform YouTube zur Verfügung, um zu lernen, aber auch, um sich dort zu präsentieren. Sind Sie darauf ein wenig neidisch?
Ich kenne keinen Neid in dieser Form. Generell ist die Konkurrenz heute auf dem Jazz-Markt viel größer als zu meiner Zeit. Ich gehöre der ersten Nachkriegsgeneration der Jazzmusiker an. Von den Trompetern waren nur Manfred Schoof, Conny Jackel und einige wenige mehr vor dem Krieg geboren. Markus Stockhausen, der zehn Jahre jünger ist als ich, kannte wiederum nur mich und auch die eben genannten Kollegen. Alles in allem ein sehr überschaubarer Kreis. Heute finden sie schnell 40 und mehr herausragende Trompeter alleine in Deutschland.
Waren Sie naiver?
Wir waren sicher unbedarfter, vielleicht auch offener. Ich wurde 1979 als Solist vom Gitarristen Volker Kriegel zu einer Tournee für das Goethe Institut eingeladen, die durch 11 afrikanische Staaten führte. Da war es keine Frage, dass wir vor Ort mit den einheimischen Musikern sofort losgelegt haben. Wir haben uns über die Sprache der Musik sofort verstanden. Es war eine Freude und eine großartige musikalische Erfahrung in diesem für uns so neuen Kulturkreis.
Fehlt jungen Musikern von heute denn der Spaß?
Das will ich damit nicht sagen, aber sie müssen neben dem Spaß am Spielen gleichzeitig noch eine bestimmte Art von Geschäftstüchtigkeit entwickeln um in dem nationalen und internationalen Konkurrenzkampf bestehen zu können. Andererseits sind sie durch die Ausbildung breiter aufgestellt als wir das damals waren. Heute können viele junge Musiker sehr gut spielen, komponieren und arrangieren. Das alleine reicht aber nicht mehr aus. Als Künstlerischer Leiter der Jazzahead in Bremen beobachte ich ja unmittelbar, wie sich der Markt national und international verändert hat. Es wird von privaten Veranstaltern, Plattenproduzenten und dem Staat in Deutschland sehr viel Geld in den Jazz investiert. Allerdings sehen die jungen deutschen Bands davon häufig eher wenig, weil Deutschland für alle Musiker und Bands aus der ganzen Welt der interessanteste und lukrativste Markt ist. Es gibt halt überall in der Welt sehr viele gute Leute.
Wären Sie gerne noch mal 20?
Nein, ich hatte das große Glück, mit so vielen wunderbaren Musikern an tollen Orten auf nahezu allen Kontinenten aufzutreten. Das begleitet mich und bleibt mein Antrieb. Ich durfte eine solche Vielfalt an Locations, Städten, Ländern und vor allen Dingen Menschen in 50 Jahren meines musikalischen Lebens kennenlernen. Dies war und ist unschätzbares Glück und Geschenk, das ich durch den Jazz erfahren habe, und es hat mich zu einem dankbaren, demütigen Menschen werden lassen.
anBeat/oli
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