Das Leben zwischen Gestern und Morgen, zwischen Mittelalter und Zukunft, zwischen Harpstedt, Paris, Bremen und Italien hat Hille Perl im Griff. Die Meister-Gambistin, die sich als junge Frau der alten Musik hingegeben hat, tritt mit ihrem Instrument gewissermaßen im diplomatischen Dienst an.
"Musik ist ein lebenswichtiger Klebstoff, der die Dinge zusammenhält“, sagt die im Landkreis Oldenburg wohnende Könnerin. Gerade ist sie von einem dreitägigen Festival in Italien zurückgekehrt, wo sie den Meisterkurs mit 17 Gambisten leitete.
Alte Musik zu spielen, bedeutet nicht, rückwärts gewandt zu denken. „Ich lebe gern in der Gegenwart. Aber das 17. Jahrhundert hat viel mit unserer Zeit gemein: eine ähnlich zerrüttete Zeit voller Kriege, politischer Machenschaften und religiöser Konflikte. Und es ist künstlerisch sehr interessant und inspirierend“, sagt Hille Perl, die sich auch mit dem historischen Gesamtbild beschäftigt. Gerade jetzt, da die öffentliche Wahrnehmung stark auf den Dreißigjährigen Krieg und den Prager Fenstersturz vor 400 Jahren gelenkt wird, kann die Intention kaum aktueller sein. „Man muss immer den Kontext sehen: Wie wurde Musik durch die Geschehnisse der Zeit beeinflusst?“
In einer durch und durch konsumorientierten Welt, die scheinbar gerade Wertmaßstab und Bezugsrahmen verliert, bietet die Musik enormen Halt. „Anders als im Sport geht es bei uns nicht um Höher, Schneller, Weiter“, eine Maxime, die Hille Perl auch ihren Studierenden an der Hochschule Bremenvermittelt. „Im Streben, besser zu werden, hängt viel von der persönlichen Einstellung ab. Ich lege großen Wert auf Kommunikation und Austausch. Die übergreifende Zusammenarbeit mit Kommilitonen und Professoren belebt das Studium. Und die Teilnahme an Wettbewerben und internationalen Festivals soll lustvolle Motivation sein.“
Im Jahr 2002 wurde sie als Professorin an die HfK berufen, sie unterrichtet im Fachbereich Musik Viola da Gamba. Außer den Hauptinstrumenten der Gamben-Familie lehrt sie zudem den Umgang mit Violone und Lirone. Auch wenn der Schwerpunkt auf der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts liegt, denkt sie zeit- und grenzenlos. „Dieses grauenvolle Genre-Denken hat sich längst aufgelöst“.
Die Zeiten, in den zwischen ernster oder unterhaltender Musik getrennt wurde, sind vorbei. In Hille Perls vielfältigem Repertoire finden sich auch Stücke der Beatles und von Pink Floyd. Mit einer E-Gambe tritt sie in einer Rockband auf, gemeinsam mit ihrem langjährigen Partner Lee Santana.
Mit experimenteller Freude und charmanter Offenheit hat Hille Perl die Welt für sich eingenommen. So blieb ihre darstellende Kunst auch dem österreichischen Filmregisseur Michael Haneke nicht verborgen.
In seinem 2017 auf dem Festival in Cannes gezeigten Spielfilm „Happy End“ verkörpert sie eine nicht unwichtige Nebenrolle. Als Claire – im Film die Geliebte des Sohnes von Patriarch Jean-Luis Trintignant – spielt sie zu dessen Ehren Marais’ „Les folies d’espagne“ auf der Gambe.
Oscar-Preisträger Haneke berichtete dazu, dass er diese Szene selbst mit einer Cellistin bei seinem Geburtstag so erlebt habe. Er sei davon so berührt gewesen, dass er der Musikerin hinterher die Hand geküsst habe. Diese Szene findet sich mit Trintignant und Hille Perl im Film: „Das war alles in allem ein wunderbares Erlebnis“, erzählt sie.
Schon die Anfrage der Film-Agentur sei sehr spannend gewesen. Die Rolle einer Geliebten zu spielen, entbehre ja nicht einer gewissen Pikanterie. „Ich habe ehrlich zurückgefragt, ob ich dafür nicht ein wenig zu alt sei“, erzählt die aparte Frau in den frühen Fünfzigern, Mutter der ebenfalls leidenschaftlich Gambe spielenden Tochter Marthe.
Doch Zweifel waren unbegründet. „Nein, das passe genau so, sagte man mir. Ich las das Drehbuch, telefonierte mit Haneke. Wir trafen uns in Paris und zwei Wochen später spielte ich zum ersten Mal am Set vor so wunderbaren Schauspielern wie Jean-Luis Trintignant, Isabelle Huppert und Mathieu Kassovitz.“
Die Freude am Tun ist für Hille Perl Antrieb und Motivation. Sie konzertiert mit Ensembles wie dem Freiburger Barockorchester oder Balthasar-Neumann-Ensemble, tritt mal als Solistin auf, mal im Duo mit Lee Santana oder Tochter Marthe.
Hille Perl hat die konzertante Gamben-Musik in Deutschland und darüber hinaus ins Blickfeld gerückt. Experten würdigen ihr virtuoses Spiel voller Leidenschaftlichkeit, Ernsthaftigkeit wie Leichtigkeit zugleich sowie ihr Talent zur Improvisation. Zur Ehre gereicht ihr der 2011 entstandene Dokumentarfilm „Die Königin der Streichinstrumente“, der zwei Majestäten in den Mittelpunkt stellt: Hille Perl und ihre Gambe.
anBeat/oli
Foto: hille.net
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