Seit über 40 Jahren singt Wolfgang Niedecken gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt an. Als Frontmann der Kölner Band BAP hat er sich vor allem für die ausgebeuteten Menschen in Afrika und gegen Aufrüstung und Rechtextremismus im eigenen Land eingesetzt. Auch im Interview mit Oliver Schulz kommt der heute 67-Jährige nicht an diesen Themen vorbei.
Herr Niedecken, Sie sind mit Ihrer Band BAP derzeit wieder auf Tournee und spielen immer noch Titel wie „Kristallnaach“, „Bahnhofskino“ und „Arsch huh, Zäng ussenander“, die sich mit Rechtsextremismus in Deutschland auseinandersetzen. Was ist Ihr Antrieb?
Ich schreibe über das, was mir durch den Kopf geht. Ich bin ein politischer Mensch, aber kein Politrocker. Bei „Verdamp lang her“ gibt es die Zeile: „Nit resigniert, nur reichlich desillusioniert“. Und ich bin stur, ich will dem rechten Pöbel nicht das Feld überlassen. Ich habe viel politische Literatur gelesen in letzter Zeit, Madeleine Albrights Buch „Faschismus“ zum Beispiel. Es gibt bei uns durchaus Parallelen zur Entwicklung in der Weimarer Republik, als man dachte, diese radikalen Spinner sind bald wieder weg.
Niedecken, Grönemeyer, Campino - stehen unter den deutschen Musikern nicht immer dieselben Leute in der ersten Reihe?
In Chemnitz war das glücklicherweise nicht so. Ich habe mich unglaublich gefreut, dass die geschätzten Kollegen von Kraftklub in ihrer Heimatstadt so engagiert sind. Die können darüber hinaus auch sehr gut für ihre Generation sprechen. Zudem waren Marteria dabei und Casper und die Hosen. Ich finde das großartig.
Was unterscheidet Gutmenschen von guten Menschen?
Das Wort „Gutmensch“ ist beleidigend für alle Leute, die sich Mühe geben, dass es weitergeht. Unser ganzes Sozialsystem würde beispielsweise zusammenbrechen, wenn es kein Ehrenamt gebe. Denken sie an die Arbeit in Sportvereinen, den Stadtteilen, sozialen Brennpunkten, in der Flüchtlingshilfe. Es ist gut, dass der Begriff 2015 zum Unwort des Jahres erklärt wurde.
Müssen demokratische Parteien und Politiker gegen Extremismus vorgehen?
Ich bin durchaus dafür, dass die AfD vom Verfassungsschutz viel stärker unter die Lupe genommen wird. Ich behaupte nicht, dass in der AfD oder bei der Pegida nur Nazis sind. Die AfD ist mal als eurokritische Partei gegründet worden. So etwas muss die Demokratie aushalten. Aber die Nazis rollen die Partei von hinten auf. Man muss dieses rechte Gedankengut schonungslos entlarven.
Anhänger der AfD und von Pegida bezeichnen sich als „Wutbürger“. Was unterscheidet deren Wut von Ihrer Wut, die Sie oft in in Ihren Liedern beschreiben?
Ich bin mit 67 kein wütender junger Mann mehr. Ich kann mir schon erlauben, die Dinge etwas gelassener zu sehen. Ich rege mich zwar immer noch auf, aber ich stehe nicht mehr unmittelbar auf dem Tisch. Ich schaffe es, zu reflektieren. Und ich will als Rock’n’Roller in Würde altern.
Durch ihre Afrika-Projekte leisten Sie Hilfe zur Selbsthilfe. Sie sind zum Beispiel regelmäßig in Gulu in Uganda und im Ostkongo. Muss man zu den Menschen vor Ort gehen, damit sie nicht zu uns kommen?
Was unserem Nachbarkontinent durch den Kolonialismus an Ungerechtigkeit widerfahren ist, ist erst nach und nach sichtbar geworden. Durch die Globalisierung sind nun Dämme gebrochen. Die Menschen wissen, wie es in Europa aussieht und welche Chancen sie womöglich in Europa hätten. Viele afrikanische Länder werden immer noch von Kleptokraten regiert. Die Korruption dort ist furchtbar. Was will ein junger Mensch tun, der dort keine Chance sieht? Der bricht dorthin auf, wo er vielleicht seine Familie ernähren kann. Und wir Europäer sind dazu verpflichtet, Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort zu leisten. So viel Empathie müssen wir doch aufbringen. Wenn dieses Mitgefühl aus unserer Gesellschaft verschwindet, landen wir wieder in der Barbarei.
Wie kann man neben diesen schweren Gedanken noch ein fröhliches Lied schreiben?
Ich bin Kölner. Und eine melancholische Frohnatur - was sich eigentlich ausschließt. Es geht aber. Es läuft so viel in die falsche Richtung. Ohne meinen Humor würde ich depressiv. Ich will auf der Bühne auch meinen Spaß haben.
Apropos: Wie war es beim Werner-Revival in Hartenholm?
Das war der Hammer. Es war alles so herzlich. Ich war ein klein bisschen aufgeregter als sonst, weil wir nicht unbedingt wussten, was da für Leute im Publikum sind, für die man da spielt. Obwohl vor 30 Jahren, beim Auftritt von BAP 1988, hat es auch gut funktioniert.
Was war denn anders als damals?
Die Bierleichen sind erfreulicherweise größtenteils ausgeblieben. Ich habe zumindest keine gesehen. Ich meine, die Leute, die vor 30 Jahren da waren, haben vermutlich heute selbst Familie und sind wohl auch etwas vernünftiger geworden. Ansonsten herrschte eine unglaublich friedliche und schöne Stimmung auf dem ganzen Gelände. Erstaunlicherweise gab es ganz viele Hardrocker backstage, die mit mir ein Selfie machen wollten. Das hat mich überrascht.
Brösels Comicfigur „Werner“ war ja auch deshalb so beliebt, weil er kein Blatt vor den Mund genommen hat, und, wie man heute sagt, politisch unkorrekt war. Ist das noch zeitgemäß?
Auf jeden Fall. Politisch korrekt zu sein und sich dabei an irgendwelche Floskeln zu halten, habe ich noch nie gemocht. Ich werde unaufmerksam, wenn irgendwo Reden gehalten werden: Liebe Schrebergärtnerinnen und Schrebergärtner. Dann mache ich schon dicht. Manches wirkt davon wie ein Denkverbot. Ich bin Freidenker. Ich orientiere mich am kategorischen Imperativ. Das reicht mir auch in Glaubensfragen.
„Live und Deutlich“ heißt die aktuelle Tour. Was verbirgt sich hinter dem Motto?
Zunächst mal wurde ein Titel für ein Live-Album gesucht. „Laut und Deutlich“ kam mir zu sehr berufsjugendlich vor. Übrigens war dieses Album gar nicht geplant. Aber mit den drei Bläsern ist plötzlich ein neuer, interessanter Aspekt dazugekommen. Da traf es sich gut, dass unser Frontmixer sieben Konzerte mitgeschnitten hatte ohne dazu beauftragt zu sein. Wir haben uns die Aufnahmen alle angehört und festgestellt: Das zweite Münchner Konzert im Zirkus Krone war am besten. Ein magischer Abend. Am 2. November kommt das Live-Album heraus – zufällig an meinem siebten Geburtstag.
Am 2. November 2011 hatten sie ihren Schlaganfall.
Das war die Gelbe Karte. Der Schlaganfall hat mich geduldiger gemacht. Erstaunlicherweise haben sich seither so viele interessante Dinge ergeben. Ich habe keine Lust, mein Leben vom Ende her zu leben. Dann würde ich nicht mehr zulassen, dass sich eins aus dem anderen ergibt. Manchmal kommen die Plattenfirmen oder Tourveranstalter mit solchen Ideen.
Sie meinen Abschiedskonzerte als „Farewell Tour“?
All solche komischen Dinge. Ich mag die Chancen, die sich auf spontan und durch Zufall ergeben. Ich wäre doch sonst nie auf die Idee gekommen, ein Bläser-Trio mit auf Tour zu nehmen, wenn ich mein Soloalbum „Reinrassije Strooßekööter“ von 2017 nicht in New Orleans aufgenommen hätte.
anbeat.com/oli
Fotos: BAP.de/oli
Kommentar schreiben