Das Zuhören ist für Dieter Ilg nicht nur Voraussetzung menschlicher Kommunikation, es ist auch Quelle und Inspiration seines langjährigen, überaus erfolgreichen Lebenswegs als professioneller Musiker.
„Natürlich kann ich immer auf Kenntnisse und Routinen zurückgreifen. Aber durch den Dialog erfahre ich etwas über meinen eigenen Zustand und über den meines Partners. Gerade bei solch einem langen Projekt wie der aktuellen „Nightfall“-Tournee wird es beim zehnten Auftritt nicht so klingen wie beim ersten Mal“.
Die Elektro-Pioniere von Kraftwerk kündeten einst von der „Mensch-Maschine“ – in diesem Wortsinn ist Dieter Ilg der „Mensch-Bass“. Mit seinem Kontrabass hat der 57-jährige Südbadener die Welt bereist, doch seine Wurzeln hat er nicht vergessen. Überhaupt spielen Lehrer und Mentoren für Ilg eine zentrale Rolle. Nach der Ausbildung an der Musikschule in seiner Heimatstadt Offenburg sowie dem Studium im Fach Klassischer Kontrabass bei Prof. Wolfgang Stert in Freiburg wagte er - wie so viele vor ihm - den Sprung über den großen Teich.
In New York ließ er sich auf einen der intensivsten Musiker ein, den umtriebigen Dave Liebman. Der weltbekannte Saxophonist und Spielgefährte von Miles Davis Anfang der Siebziger war die allerbeste Schule. Denn wer mit Liebman spielt, landet automatisch im überdimensionalen Netzwerk der NYC-Jazzconnection. „Dass ich Ende der 1980er Jahre von Randy Brecker als Ron Carters Nachfolger verpflichtet wurde, war für mich ein Ritterschlag. Es war ein wahnsinniger Schub.“
Von da an standen Dieter Ilg alle Türen offen. Er wurde regelmäßig für ausgewählte WDR-Bigband-Projekte engagiert und wirkte zum Beispiel an der erfolgreichen ACT-Produktion „Jazzpaña“ um Michael Brecker und Al Di Meola mit. Später war er im Quartett mit Peter Erskine, Kenny Wheeler und John Taylor sowie im berühmten Mangelsdorff-Dauner Quintett engagiert.
Für Furore sorgte Ilg als Bandleader von Ilg/Schröder/Haffner, und wurde so selbst zum Vorbild für die folgende Generation. „Man besteigt damit eine weitere Stufe, wenn man selbst ein Projekt verantwortet. Es ist eine enorme Herausforderung, weil nicht nur das musikalische Zusammenwirken, sondern auch die persönliche Chemie stimmen muss.“ Aus dieser neuen Erfahrung heraus entstanden die Produktionen mit Marc Copland und Bill Stewart (American Songbook) sowie Wolfgang Muthspiel und Steve Argüelles (European Songbook). Und so wurde aus dem beliebten „Sideman“ Ilg der emsige Musikforscher und Grenzgänger.
Mit seiner "Working Band" - Rainer Böhm & Patrice Héral – kümmert er sich um Bearbeitungen klassischer Werke europäischer Musikgeschichte. Nach Giuseppe Verdis „Otello“ und Richard Wagners „Parsifal“ veröffentlichte Ilg im Jahr 2015 Variationen zu Themen von Ludwig van Beethoven, wiederum beim renommierten Label ACT. Ende September 2017 erschien in dieser bemerkenswerten Reihe das vorerst letzte Werk zu Johann Sebastian Bach.
Zu den Konstanten in Dieter Ilgs musikalischem und privatem Leben zählen die Seelenbeziehungen. Nach der langjährigen Duopartnerschaft mit dem Saxofonisten Charlie Mariano, der im Jahr 2009 starb, existiert eine solche Liaison auch mit Deutschlands populärstem Jazztrompeter Till Brönner. „Wir kennen uns über 20 Jahre und haben seither in vielen Projekten zusammengearbeitet. In dieser Zeit ist ein sehr offenes Verhältnis entstanden. Es gab in der gemeinsamen Arbeit nie Berührungsängste.“ Was Brönner und Ilg verbindet, und ihnen trotzdem genügend Freiraum zur Entfaltung lässt, ist auf dem 2018 erschienenen, ersten gemeinsamen Album „Nightfall“ zu hören.
Till Brönner/Dieter Ilg: Nightfall, Sony Masterworks / OKeh, 2018
Text: oli/anBeat.com, Foto: Till Brönner
English version
The Man Bass
For Dieter Ilg listening is not only a prerequisite for human communication, it is also the source and inspiration of his long and extremely successful life as a professional musician. „Of course, I can always fall back on knowledge and routines. But through dialogue I learn something about my own condition and that of my partner. Especially on such a long project as the current ,Nightfall’-Tour with Till Brönner, the tenth appearance won't sound like the first time.“
The German electric pioneers of Kraftwerk once announced "The Man Machine“ - in this sense Dieter Ilg is "The Man Bass“. The 57-year-old from Southern Germany has travelled the world with his double bass, but he has not forgotten his roots. In general, teachers and mentors play a central role for Ilg. After training at the music school in his hometown Offenburg and studying classical double bass with Prof. Wolfgang Stert in Freiburg, he ventured - as so many before him - to cross the ocean.
In New York he got involved with one of the most intense musicians, Dave Liebman. The world-famous saxophonist and playmate of Miles Davis in the early seventies was the very best teacher. Anyone who plays with Liebman automatically ends up in the oversized network of the NYC Jazzconnection. „The fact that Randy Brecker hired me as Ron Carter's successor at the end of the 1980s was a knighthood for me. It was an insane surge.“
From then on all doors were open for Dieter Ilg. He was regularly engaged in Germany for selected WDR big band projects and participated, for example, in the successful ACT production „Jazzpaña" around Michael Brecker and Al Di Meola. Later he was engaged in the quartet with Peter Erskine, Kenny Wheeler and John Taylor as well as in the famous Mangelsdorff Dauner Quintet.
Ilg caused a sensation as bandleader of Ilg/Schröder/Haffner, and became a role model for the next generation. „It takes you to the next level when you're responsible for a project. It's an enormous challenge, because not only the musical interaction, but also the personal chemistry has to be right.“ From this new experience the productions with Marc Copland and Bill Stewart (American Songbook) as well as Wolfgang Muthspiel and Steve Argüelles (European Songbook) emerged. And so the popular sideman Ilg became the busy music researcher and border crosser.
With his „Working Band“ - Rainer Böhm and Patrice Héral - he takes care of arrangements of classical works of European music history. After Giuseppe Verdi's „Otello“ and Richard Wagner's „Parsifal“, Ilg published variations on themes by Ludwig van Beethoven in 2015, again on the renowned label ACT. At the end of September 2017 the last work on Johann Sebastian Bach appeared in this remarkable series.
Among the constants in Dieter Ilg’s musical and private life are the soul relations. After the long-standing duo partnership with saxophonist Charlie Mariano, who died in 2009, such a liaison also exists with Germany's most popular jazz trumpeter Till Brönner. „We have known each other for over 20 years and have worked together on many projects since then. During this time a very open relationship has developed. There was never any fear of contact in the joint work.“ What Brönner and Ilg have in common, and yet leaves them enough space to unfold, can be heard on the first joint album „Nightfall“ released in 2018.
Text: Oliver Schulz
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