Mit dem lokalen Adverb „oben“ ist das Leben des Nils Wülker eigentlich schon zusammengefasst. Der mehrfach prämierte Trompeter steht an der Spitze seiner Zunft, er zählt das Bergsteigen zu seinen Leidenschaften, und er präsentiert sein zehntes Album, die Live-Einspielung „Decade“, gerade von den deutschen Bühnen herab seinem zahlreichen Publikum.
Wenn einer „oben“ ist, sollte man gleichzeitig nachsehen, wo sich die Füße befinden. Bei Nils Wülker droht aber nicht die Gefahr des Abhebens, selbst beim Klettern im Hochgebirge sucht der 41-Jährige stets nach dem sicheren Halt. „Es ist immer gut, die Dinge mit einer gewissen Demut anzugehen. Das gilt für mich auf dem Berg wie auf der Bühne. Ich bin sehr auf den Moment fokussiert. Natürlich helfen mir die Vorbereitungsroutine und ein gewisses Maß an Disziplin, aber es kann immer etwas geschehen, auf das man reagieren muss“ – und räumt zugleich lachend ein, dass die Tragweite im Hochgebirge eine andere ist als auf der Bühne.
„Neulich brach mir zehn Minuten vor dem Konzert die Schraube am Stimmzug meines Flügelhorns. Das war mir in meiner ganzen Karriere noch nicht passiert“, berichtet Wülker. „Ich habe jede Menge Klebeband eingesetzt und das Ganze getaped. Dann hielt’s.“ Selbst ist der Musiker.
Zu sehen ist das Malheur bei Facebook, worauf ein Follower „MacGyver“ gepostet hat, in Anspielung auf den Held der gleichnamigen TV-Serie aus den Achtzigern, der regelmäßig mit Schweizer Messer, Klebeband und Streichhölzern die Welt rettete.
Alles Klebeband der Welt könnte Nils Wülker nicht helfen, das Lampenfieber in den Griff zu bekommen. „15 Minuten vor jedem Konzert tritt dieser besondere Spannungszustand ein. Es ist ein Signal an mich selbst, dass es gleich losgeht. Insofern ist es nicht negativ, und ich gehe auch nicht dagegen an.“
Dass das zehnte Album „Decade“ vor und mit Publikum aufgenommen wurde, war nicht von langer Hand geplant, sagt Wülker, der in den vergangen 15 Jahren zu einem der erfolgreichsten Jazztrompeter- und Komponisten in Europa avancierte. Ausgezeichnet mit dem Echo Jazz als „Instrumentalist des Jahres“ in der Kategorie Blechblasinstrumente, dem goldenen Jazz Award sowie dem Hamburger Musikpreis als „Musiker des Jahres“ spielt er längst in der ersten Liga. Seine Musik begeistert durch perfekten Sound und atmosphärische Tiefe – ist zugleich authentisch und virtuos.
Trotz der stetigen Entwicklung nach oben sieht sich Wülker längst nicht im Zenit seiner Schaffenskraft. „Das wäre ja mit Anfang 40 auch irgendwie traurig. Nee, da geht noch ganz viel. Ich bin musikalisch relativ neugierig.“
Und diese Neugier treibt den Könner immer wieder auf die Bühne. „Am vergangenen Samstag zum Beispiel bin ich nach meinem Trio-Konzert am Nachmittag in München noch in den Lindenkeller Freising gegangen und habe dort spontan zwei Stücke mit Klaus Doldinger und Passport gespielt. Es ist toll zu sehen, wie begeistert er mit seinen 82 Jahren noch ist und damit andere begeistern kann. Das sind wahnsinnig inspirierende Momente für mich.“
Gerade die Blasinstrumente, und besonders seine Trompete fordern Wülker heraus. „Es entsteht ein sehr körperliches Gefühl. Da ist eine ordentliche Grundfitness sehr hilfreich.“
Die reichhaltigen Erfahrungen mit neuen Genres hat Nils Wülker gelassener gemacht. „Ich bin sehr experimentierfreudig und lasse mich ganz auf meine Arbeit ein. Früher hätte vielleicht die Gefahr bestanden, dass ich mich darin verliere. Das ist nicht mehr so.“ Hier zeigt sich einmal mehr, dass ein gesunder Geist und ein gesunder Körper zusammengehören – oben wie unten.
Text: oli/anBeat.com
Kommentar schreiben