Musiker und Macher treffen sich im April vier Tage lang zu Europas wichtigster Jazz Messe „Jazzahead“ in Bremen – diesmal ist Norwegen das Gastland. Da passt es, dass viel für Nachtschwärmer geboten wird: Allein die „Clubnight“ bietet 80 Konzerte in Bremen und umzu. Oliver Schulz schaut voraus.
Die Nacht zum Tag zu machen, das ist gar nicht so schwer – jedenfalls nicht, wenn man aus Skandinavien kommt. Denn oben am Polarkreis spielt der Übergang je nach Jahreszeit wegen der niemals untergehenden oder auftauchenden Sonne eine eher nachrangige Rolle. Auch deswegen ist Norwegen in diesem Jahr als Gastland der „Jazzahead“ (25. bis 28. April) bestens geeignet. Denn geboten wird viel für Nachtschwärmer: Allein die Clubnight am 27. April bietet 80 Konzerte in Bremen und umzu. An 34 Orten spielen von 17 Uhr am Samstag bis in den frühen Sonntag 55 Bands unterschiedlicher Stilrichtungen.
Die vielen Facetten der Jazz-Szene in Norwegen sind also an vielen Terminen zu erleben, darunter die Festival-Eröffnung im großen Haus des Theaters am Goetheplatz sowie das Gala-Konzert in der „Glocke“. Hinzu kommen acht sogenannte Showcases am 25. April sowie Auftritte während der Club-Nacht. „Ich glaube, das höhere Ideal unserer Jazz-Szene ist es, vor allem die eigene, unverwechselbare Stimme zu finden“, sagt Øyvind Larsen, Projektleiter beim „Norsk Jazzforum“ in Oslo. „Wir sagen, Jazz ist nicht unbedingt eine stilistische Ausrichtung, sondern eine Art, Musik zu machen.“
Hochinteressant ist Europas wichtigste Messe des Jazz gleichermaßen für Musiker, Konzertveranstalter und die Verantwortlichen der Plattenfirmen. „Es ist eine schöne Möglichkeit, aus den unendlichen Weiten des Online-Universums herauszusteigen und den Menschen persönlich zu begegnen, zwischenmenschliche Energien und Synergien zu spüren“, stellt Olivia Trummer fest. Die 33-jährige Pianistin und Vokalistin aus Stuttgart ist zwar schon seit einigen Jahren auf der Bühne und in den Studios präsent, mit der Zuerkennung des mit 15 000 Euro dotierten Jazzpreises Baden-Württemberg vor wenigen Tagen erfährt sie zusätzlich Ruhm und Ehre.
Inwieweit es ihrer Karriere einen weiteren Schub verleihen kann, wird sie schon in Bremen erleben. „Das persönliche Gespräch ist eine viel organischere und feinere Art der Begegnung und eine aussagekräftigere Basis, um eventuell gemeinsam Pläne zu schmieden. Natürlich knüpfen sämtliche Begegnungen an die bisherigen Ergebnisse meiner künstlerischen Arbeit an. Mit der persönlichen Begegnung allein ist es nicht getan, da steckt jahrelange Entwicklungsarbeit dahinter.“
Die isländische Pianistin Sunna Gunnlaugs ist Stammgast bei der "Jazzahead", die früher in Brooklyn lebte und seit geraumer Zeit wegen der Familie wieder in ihre Heimat zurückgekehrt ist. "Ich komme schon seit vielen Jahren nach Bremen. Beim ersten Besuch war ich völlig überwältigt. Doch es lohnt sich, die Leute zu treffen, mit denen ich in New York über E-Mail in Kontakt gekommen war. Es kann ansonsten ein bisschen schwierig sein, seine Präsenz auf der Szene aufrechtzuerhalten, wenn man wie ich auf einer Insel lebt. Also finde ich es wichtig, dorthin zu gehen, um Beziehungen zu Buchern, Kritikern und anderen Musikern zu pflegen und natürlich alte Freunde zu treffen. Normalerweise fühle ich mich nach der Konferenz sehr inspiriert und bin begierig, etwas zu erreichen." In diesem Jahr tritt sie erstmals im Showcase auf. "Mein Trio hat vor einigen Jahren in der Clubnacht im Sendesaal gespielt, aber diesmal sind wir im fabelhaften Schlachthof. Ich liebe diesen Ort! Natürlich hoffe ich, dass uns dieser Showcase Türen öffnet und uns mehr Möglichkeiten gibt, unsere Musik zu spielen."
Der Showcase-Wettbewerb gilt als Herzstück der Fachmesse. „Vier Jurys haben aus 764 Bewerbungen 40 Teilnehmer herausgefiltert“, erklärt der künstlerische Leiter und Trompeter-Urgestein Ulrich Beckerhoff. „Erstes Kriterium ist die Qualität, dann kommen weitere Aspekte ins Spiel – wie Instrumentierung, Herkunft oder auch die Genderfrage.“ Alle ausgewählten Bands müssen international tourfähig sein, was hohe musikalische Ausdrucksmöglichkeiten voraussetze, stellt der Bremer fest und nennt seinen Geheimtipp: „Die norwegische Band Frode Haltli Avant Folk verbindet Jazz und Folklore auf hochinteressante Weise.“
Am Sonntag, wenn sich die Messetüren schließen, geht es im Kulturzentrum Schlachthof weiter: Das Molde International Jazz Festival präsentiert das 15-köpfige Ensemble „Large Unit” in Fusion mit dem Netzwerk der nordischen Jazz-Organisationen – Jazz Denmark, Svensk Jazz, Jazz Finland, Music Finland und Norsk Jazzforum. Und dass die Skandinavier dabei den Tag zur Nacht und wieder zum Tag machen werden, versteht sich fast von allein.
Text/Foto: oli/anBeat.com
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