Frauen im Jazz sind keineswegs schwach, sie sind nur noch nicht ausreichend vernetzt. Die kürzlich mit dem Jazz-Preis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnete Musikerin Olivia Trummer meint, eine stärkere Präsenz auf der Bühne können Frauen am besten selbst in die Hand nehmen. Warum eine Quote dabei der falsche Weg ist, und was die Stuttgarterin macht, wenn die 15.000 Euro Preisgeld ausgegeben sind, hat Oliver Schulz von ihr erfahren.
Der Weltklasse-Posaunist Nils Landgren hat gesagt: Wer sich für Jazz als Beruf entscheidet, steht vor einem Leben der Ungewissheit, künstlerisch und finanziell. Liegt er damit richtig?
Einerseits glaube ich, es gibt mittlerweile kaum noch einen Beruf, bei dem die Ungewissheit nicht mitschwingt, sowohl hinsichtlich des finanziellen als auch des „künstlerischen“ Aspekts bzw der gelingenden Selbstverwirklichung. Ein Job, der gut bezahlt ist, kann einen beispielsweise auslaugen oder mitten im Leben durch ein Burn-Out aus der Bahn werfen. Auf der anderen Seite finde ich, die angesprochene „Ungewissheit“ eines Jazz-Musikers muss man nicht negativ verstehen - man könnte sie z.B. auch positiv mit den Worten „Flexibilität“, „Entdecken" oder „Freiheit“ in Verbindung bringen. Gerade im Jazz sind die Definitionen & Erwartungshaltungen ja nicht so festgefahren; vielmehr ist das Kreative und Eigene Teil der Definition von Jazz, zumindest aus meiner Sicht.
Ihnen wurde gerade der mit 15.000 Euro dotierte Jazzpreis Baden-Württemberg zugesprochen, Sie waren bereits mehrmals Stipendiatin. Was bleibt von Ruhm und Ehre, wenn das Preisgeld ausgegeben ist?
Preise und Stipendien geben einem finanziell die Möglichkeit, um kreative Projekte und Ideen umzusetzen und schmeicheln zugegebenermaßen auch der Künstlerseele, die ja auch hin und wieder Enttäuschungen hinnehmen muss. Wenn das Preisgeld ausgegeben ist, bleibt also das schöne, bestärkende Gefühl, dass jemand an Dich glaubt und diesem Glauben auch Taten folgen lässt zurück. Außerdem bleiben die umgesetzten künstlerischen Ergebnisse, die durch ihren Inhalt weiter wirken können. Der Erhalt eines Preises zieht darüberhinaus auch Aufmerksamkeit nach sich, die man ohne den Preis vielleicht nicht bekommen hätte; ich habe das Gefühl, von manchen Seiten automatisch ernster genommen zu werden.
Gespielt wird Jazz außerhalb der Metropolen immer noch in meist dunklen Club-Räumen vor älteren Oberstudienräten, Konzertankündigungen profitieren hier oft vom Weitersagen. Dennoch drängen immer mehr junge Jazzmusiker ins Rampenlicht. Was macht dieses Genre so attraktiv?
Jazz ist ein kreativer, spontaner, zeitgemäßer Musikstrom ohne Berührungsängste, der auf solidem musikalischen Handwerk aufbaut und zwischenmenschliche Kommunikation und Konzentrationsfähigkeit fördert. Jazz ist deshalb so attraktiv, weil er dem Musiker einerseits so viele Freiheiten lässt und es andererseits so viel zu entdecken und zu lernen gibt. Er kann Menschen über alle Generationen erreichen und erfüllen. Wer sich dem Jazz verschreibt, tut dies erst einmal der Musik zuliebe, nicht mit dem Blick auf ein potentielles Publikum.
Bietet die Präsentation in digitalen Kanälen und sozialen Medien den Jazzern mehr Vorteile in der Selbstvermarktung - gibt es einen Jazz 2.0?
Ja, Jazzmusiker von heute haben eine größere Präsenz und kreative Methoden entwickelt, um online auf sich aufmerksam zu machen und sich zu präsentieren. Das ist gut, wenn man dabei nicht das Wesentliche, die Musik, aus den Augen verliert. Der „Jazz 2.0“ ist sicherlich von der Fülle und digitalen Verfügbarkeit verschiedenster Musikrichtungen beeinflusst, dadurch ist das „Wesen des Jazz“ für mich noch offensichtlicher zu einer Haltung (anstatt eines Sounds) geworden: Eine Haltung der Offenheit und Produktivität. Man hört dem Neuen zu, versteht es / analysiert es, macht es sich zu eigen und verwendet es dann kreativ in neuen Zusammenhängen. Jazz ist eine Form von Intelligenz. Dieser Prozess findet auch im visuellen Bereich bzw in der Art, wie sich Jazzmusiker heute präsentieren statt: Man lernt vom Pop, ist inspiriert von der Bilderfülle und von den vielen Möglichkeiten, sich sein Artwork online selbst zu designen. Es ist spannend zu sehen, wie manch ein Musiker nicht nur seine eigene Tonsprache sondern auch seine eigene Bildersprache entwickelt.
Was bringt Ihnen eine Messeplattform wie jetzt die Jazzahead in Bremen?
Es ist eine schöne Möglichkeit, aus den unendlichen Weiten des Online-Universums herauszusteigen und den Menschen wieder persönlich zu begegnen, zwischenmenschliche Energien und Synergien zu spüren. Das persönliche Gespräch ist eine viel organischere und feinere Art der Begegnung und eine aussagekräftigere Basis, um eventuell gemeinsam Pläne zu schmieden. Natürlich knüpfen sämtliche Begegnungen an die bisherigen Ergebnisse meiner künstlerischen Arbeit an. Mit der persönlichen Begegnung allein ist es nicht getan, da steckt jahrelange Entwicklungsarbeit dahinter…
Frauen sind im Jazz auf der Bühne wie im Publikum gleichermaßen unterrepräsentiert. Der Männer-Anteil lag laut einer Branchenstudie von 2016 bei 80 Prozent. Woran liegt das?
Aus meiner Erfahrung sind Musikerinnen auch in Männer-Kreisen höchst willkommen. Vor allem, wenn sie ihre Weiblichkeit weder verleugnen noch an die große Glocke hängen. Man trifft und verbindet sich über die gemeinsame Leidenschaft zur Musik. Ich finde es vom Ansatz her falsch, zu sagen, man müsse eine 50/50-Auslastung anpeilen. Wenn eine Frau den Wunsch verspürt, Jazz zu spielen, zu hören oder sogar zu ihrem Beruf zu machen, soll sie das tun. Wenn nicht, dann ist es auch ok. Was sicherlich hilft, ist, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Hierfür braucht man Gleichgesinnte - z.B. andere junge Musikerinnen, weibliche Mentorinnen, weibliche musikalische Vorbilder - und Leute, die das eigene Vorhaben unterstützen und ermutigen. Ich denke daher, dass die bessere Vernetzung zwischen Musikerinnen wichtig ist.
Hilft Jazzmusikerinnen eine Quote, zum Beispiel auf Festivals?
Ich finde es gut, dass manche Institutionen sich direkt für Chancengleichheit engagieren. Ich engagiere mich sozusagen „indirekt“, indem ich versuche, ein positives Beispiel abzugeben, was wiederum junge Musikerinnen motiviert, an sich zu glauben und ihren Weg zu gehen. Ich finde eine Quote eher nicht hilfreich - das hat immer einen Beigeschmack von Zwang. In gewisser Weise kann eine Quote den Musikerinnen sogar die Möglichkeit nehmen, alleine mit ihrer musikalischen Qualität zu überzeugen. Durch die Quote werden sie plötzlich angreifbar. Frauen sind auf der Bühne prinzipiell doch genauso gern gesehen wie Männer - vielleicht sogar vom Publikum bevorzugt. Es sollte den Festivalmachern also ein freiwilliges Anliegen sein, auch Ensembles von Musikerinnen einzuladen. Das Problem liegt meiner Meinung nach nicht auf der Bühne sondern im Werdegang verborgen. Initiativen der Vernetzung unter jungen Musikerinnen wie z.B. "Sisters in Jazz“ oder „SOFIA" finde ich viel sinnvoller als Bühnen-Quoten.
Die Fotos auf Ihrer Homepage sind wohlkomponiert, Sie werden darin gut in Szene gesetzt und wirken sehr attraktiv. Vielen männlichen Jazzkollegen scheint das Äußere in ihrer Außendarstellung eher egal zu sein. Woran liegt das?
Es gibt durchaus auch viele männliche Jazzkollegen, denen ihre Außendarstellung wichtig ist und die sich bewusst inszenieren. Da sehe ich eigentlich keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Selbst eine „Egal“-Haltung ist ja eine Inszenierung der inneren Haltung. Man kommt gar nicht umhin, sich in einer von Bildern regierten Online-Welt zu inszenieren - das geschieht bereits, wenn man ein Profilbild auf sozialen Plattformen auswählt. Das Auge kann in unserer weitgehend über Bilder vernetzten Welt nicht ignoriert werden - aber vielleicht kann man dies ja auch als Chance wahrnehmen: Als Aufgabe, auch visuell einen eigenen "Ton“ zu treffen, der Lust darauf macht, die Musik hinter dem Bild zu entdecken? Ich finde, man sollte sich so präsentieren, wie man sich wohl fühlt; in einer Art, die den eigenen Werten und der eigenen Musik entspricht. Besonders als attraktive Frau kann und sollte man den Grad der Offenherzigkeit bewusst wählen. Ich will nicht durch äußerliche Reize überzeugen sondern durch innere Werte und die Kraft meiner Kreativität, das soll sich auch in meinen Bildern widerspiegeln.
Mehr unter oliviatrummer.de
Interview: oli/anBeat.com
Fotos: Ronald Göttel, Dietmar Scholz, Nobbe K.
Kommentar schreiben