Dieser „Friday for future“ war ein „Zurück in die Zukunft“. Udo Lindenbergs spektakulärer Auftakt der Deutschland-Tournee in Bremen vor offiziell 14.000 Zuschauern ließ nichts aus: kein bekanntes Lied, keine politische Attitüde, keinen platten Spruch und keinen gesungenen Ton.
Vieles klappte vorzüglich, manches im Rahmen der rudimentären gesanglichen Möglichkeiten. Doch der mittlerweile 73-jährige Rockstar aus der Lebensresidenz „Hamburch anner Binnenalster“ steht nach Meinung seiner Anhänger kurz vor der Ernennung zum Weltkulturerbe und ist damit über jeden Zweifel erhaben.
Zweieinhalb Stunden wurde vom Panikorchester Rock’n’Roll-Zirkus nonstop geboten. Dass einerseits dieser Musikstil der Fünfziger Jahre beim durchweg älteren Publikum unverändert beliebt ist, andererseits aber mit Stilmitteln und Habitus einer längst vergangenen Zeit ausstaffiert werden muss, gehört bei Lindenberg zur unheilvollen Mischung wie Cola und Korn. Nachhaltig ist das nicht, aber Udo halt.
Und wenn sich spartanisch bekleidete Tänzerinnen vor ihm auf der Bühne rekeln und sich der Meister der Pose in den Schritt greift, folgt es eben nicht dem Gedanken der asexuellen Gleichheit von Mann und Frau. Vermutlich hatte dies auch niemand erwartet. „Ich mach mein Ding!“
Gekommen waren die vielen Fans wegen der „Honky Tonk Show“ , wegen „Andrea Doria“, wegen „Sonderzug nach Pankow“, und sie wurden an diesem fulminanten Abend bestens bedient. Schon die Eröffnung erweckte Tote zum Leben und machte Hörende taub. Auf der Multivisionswand startete mit markerschütterndem Getöse eine Rakete zur bildreichen Reise durch den Orbit, um als Raumgleiter „Panik 1“ auf der Erde zu landen.
Der Blick von oben auf unseren Planeten ließ schon zu Beginn erahnen, dass einer in besonderer Mission unterwegs war. Und da in Zeiten der „Fake News“ Täuschungen und Tarnungen angesagt sind, stolperten nacheinander jüngere Doppelgänger aus dem Flugzeug. Den Udo-Hut mit angeklebten Haaren und schwarzer Sonnenbrille gibt es mittlerweile schon im gut sortierten Scherzartikelbedarf.
Dafür landete der Einzigartige mit einer raketenähnlichen Plattform auf dem vorderen Bühnenbereich, wo er von Ina Bredehorn und Nathalie Dorra empfangen wurde. Die beiden Sängerinnen waren nicht nur dazu abgestellt, Lindenberg die Hand zu reichen, sondern vor allem dessen eigenwilliges Timbre stimmlich zu flankieren. Das klappte ganz vorzüglich.
Da auch das Panikorchester in den vielen Jahrzehnten nichts von seiner Wucht verloren hat, ist jeder Rock’n’Roll-Freund auf der sicheren Seite. Der Bass brummt, das Schlagzeug wummert, die Gitarren jaulen wie eh und je. So lassen sich allerlei schief aufgesetzte Themen ertragen – sakraler Klamauk mit Priestern und Nonnen, die einander am Ende einer Trauzeremonie küssen müssen. Zwischendurch werden überdimensionale Joints durch die Gegend getragen, „Lady Whisky“ besungen und Eierlikörchen gereicht. Bei Udo wird kein Klischee ausgelassen.
Dazu gehört eben auch das andere lebende Gesamtkunstwerk aus dem Norden: Der ehemalige Mitbewohner aus der „Villa Kunterbunt“, Otto Waalkes, hatte den Weg nach Bremen auf die Bühne gefunden und sang gemeinsam mit Lindenberg „Auf dem Heimweg wird’s hell“ – die deutsche Version des AC/DC-Krachers „Highway to hell“.
Im übrigen spielt die Hölle eine zentrale Rolle in Udo Lindenbergs textlichen Untergangszenarien. Der Endzeitstimmung der Achtziger Jahre mit Atomraketen-Nachrüstung und Friedensmärschen in Europa begegnete er sichtbar mit dem unvermeidlichen Mittelfinger für die Rüstungsindustrie, die Waffenexporteure und überhaupt alle Politiker dieser Welt. Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Attitüde nicht mehr zeitgemäß wäre.
Und so wirkt Udo im sechsten Jahrzehnt seiner Bühnenkarriere einerseits aus der Zeit gefallen. Andererseits ist es wirkungsvoll, wenn nicht nur 16-jährige Schwedinnen und viele andere junge Menschen ein überlebenswichtiges Interesse an der Zukunft zeigen. Nur die Mittel sind bei Lindenberg eben andere: Sex (angedeutet), Drugs (angedeutet) und viel Rock’n’Roll.
Text und Video: oli/anbeat.com
Kommentar schreiben