Dass an diesem Mann im europäischen Jazz über viele Jahrzehnte niemand vorbeikam, lag nicht allein an seiner Leibesfülle: Peter Herbolzheimer, der vor zehn Jahren 74-jährig gestorben ist, war ein Schwergewicht auch im musikalischen Sinn. Oliver Schulz erinnert an den "Little Big Band Man".
Der Weltklasse-Posaunist begründete Ende der Sechzigerjahre eine neue Ära im deutschen Jazz, als er die Big Band „Rhythm Combination & Brass“ ins Leben rief. In seinen Arrangements nutzte der 1935 in Bukarest geborene Bandleader früh den aufkommenden Rock als rhythmische Grundlage des Sounds, auf der dann die Bläsersektion aufbaute. Bis dato waren es meist schlichte Swing-Muster gewesen, die die Rhythmus-Basis vorgaben. Herbolzheimer erkannte die Zeichen der Zeit und legte das Fundament für den Jazzrock, der in den Siebzigern sehr populär wurde.
Sein Erfolg wäre aber ohne Ehefrau Gisela nicht denkbar gewesen, sagt Lisa Herbolzheimer, Enkelin des Bandleaders und als Sängerin von „Les Brunettes“ musikalisch auf seinen Spuren unterwegs. „Meine Großmutter stand fest an seiner Seite, hielt ihm den Rücken frei, koordinierte den Versand der Arrangements. Sie hielt den Laden am Laufen“, erinnert sich die gebürtige Oldenburgerin, die mit Mann Konrad, selbst bekannter E-Bassist, und ihren beiden Kindern in Hamburg lebt.
Einen Achtungserfolg bescherte Peter Herbolzheimer die heiter-beschwingte Einlaufmusik der Olympischen Sommerspiele 1972 in München, die er im Auftrag des Orchesterleiters Kurt Edelhagen mit Dieter Reith und Jerry van Rooyen arrangierte. Später komponierte und produzierte er Musik für Filme („Das Traumhaus“, „Abgehauen“) und Fernsehserien. Bis 1988 war Herbolzheimer zudem für die Bläsersätze in Udo Lindenbergs Panikorchester zuständig und spielte dort auch selbst Posaune.
Zudem war er fester musikalischer Begleiter in Alfred Bioleks legendärer Show „Bio’s Bahnhof“. Eine der epochalen Fernsehereignisse war sicher der Auftritt von Sammy Davis jr. im Jahr 1982, der in Begleitung der RC&B "New York, New York" und "The Lady is a Tramp" sang, um dann in einem Solo seine Künste am Schlagzeug zu demonstrieren.
In dieser überaus mitreißenden Sendung tritt US-Sängerin Debbie Cameron mit einem Udo-Lindenberg-Song auf und vereinigt sich dann im Duett mit ihrer Mutter Etta zu einem "großen jazzigen, richtig swingenden Opening. Das wird sie richtig von den Stühlen reißen", schwärmte Moderator Alfred Biolek in seiner unvergleichlichen Art. Dazu zählt Bio die Bläsersektion um Peter Herbolzheimer ein, und die Posaunen legen los. Zu erkennen ist übrigens auch Ack van Rooyen an der Trompete. Alle Musiker der RC&B tragen Jeans-Westen und erinnern an die Fußball-Hooligans der Achtzigerjahre.
Es ist heutzutage unvorstellbar, dass eine Livesendung im Fernsehen verschiedene Genre wie das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper (Finale 1. Akt "Cosi fan tutte), eine Stimm-Performance von "Maulwerk" sowie Chanson (Milva und Mario Adorf mit Brechts "Zuhälterballade"), Rock, Pop und Jazz vereint. Jede Menge Bierflaschen und Colabüchsen tragen zum Oeuvre eines un-ordentlichen Bahnhofs bei. Zwischendurch schwebt noch der Lufthansa Airport Express mit dem damaligen Verkehrsminister Volker Hauff zum Interview ein. Unglaublich!
Weil er sich um den musikalischen Nachwuchs hierzulande sorgte und vor allem keine halben Sachen mochte, gründete Peter Herbolzheimer 1987 das Bundesjazzorchester, das er bis 2006 leitete. Aus dieser Talentschmiede gingen viele heute wichtige Jazzgrößen hervor wie zum Beispiel Till Brönner, Hubert Nuss, Roger Cicero und Paul Heller. 2005 dirigierte er gar die M-Big-Band der Musikschule Oldenburg auf dem Kultursommer.
„Was mein Großvater wollte, verfolgte er von ganzem Herzen und mit vollem Einsatz. Und diesen verlangte er dann auch von allen anderen“, erinnert sich Lisa Herbolzheimer. „Ich gebe zu, für mich als junge, aufstrebende Sängerin war es nicht immer einfach, seinen Ansprüchen gerecht zu werden.“ Noch heute werden seine brillanten Arrangements nachgefragt, die Lisa seit dem Tod ihrer Großmutter 2017 verwaltet. Dass harte Arbeit immer mit Spielwitz und Humor verbunden sein muss, ließ Peter Herbolzheimer alle wissen: Das 82er-Cover von „Fat Man Boogie“ zeigt ihn im Profil illustriert als ebensolchen.
Text: oli/anbeat.com
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