Der Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ ist neunmal für den Oscar 2022 nominiert. Alle deutschen Vorgängerfilme thematisierten Weltkrieg, die DDR oder die RAF - bis auf einen.
Der Erfolg hat viele Väter, heißt es – und mindestens eine Mutter. Wenn an diesem Sonntagabend in Los Angeles zur Ortszeit die Oscars verliehen werden, wird auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth zur Preisverleihung kommen. Mit dem Blick auf den für neun „Academy Awards“ nominierten Film „Im Westen nichts Neues“ des in Wolfsburg geborenen Regisseurs Edward Berger könnte die Grünen-Politikerin auch etwas vom goldenen Glanz des wichtigsten Filmpreises abbekommen.
Der letzte deutsche Sieg in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ liegt auch schon wieder mehr als 16 Jahre zurück. Das kammerspielartige „Das Leben der Anderen“ - in der Regie von Florian Henckel von Donnersmarck und mit dem großartigen Darsteller-Ensemble Ulrich Mühe, Martina Gedeck, Sebastian Koch, Ulrich Tukur und Thomas Thieme - bildete ab, was das deutsche Kino für die ausländische Öffentlichkeit im Wesen ausmacht: die glaubhafte Auseinandersetzung mit der eigenen schmerzlichen Vergangenheit.
Nur zwei „Königstitel“
Man denke hierbei an die ebenfalls oscarnominierten Wettbewerbsbeiträge „Werk ohne Autor“ (2019/Regie Florian Henckel von Donnersmarck), „Das weiße Band“ (2010/Michael Haneke), „Der Baader Meinhof Komplex (2009/Uli Edel), „Sophie Scholl“ (2006/Marc Rothemund), „Der Untergang“ (2005/Oliver Hirschbiegel), „Schtonk!“ (1993/Helmut Dietl) oder „Das schreckliche Mädchen“ (1990/Michael Verhoeven), die allesamt leer ausgingen – im Gegensatz zur 1980 preisgekrönten Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff sowie Caroline Links „Nirgendwo in Afrika“ im Jahr 2003, die Stefanie Zweigs autobiografischen Roman über die Flucht ihrer jüdischen Familie vor den Nazis nach Afrika auf die Leinwand brachte.
„Das Boot“ ging leer aus
Sidekick für Cineasten: „Das Boot“ nach dem Roman von Lothar-Günther Buchheim wurde bei der Oscar-Verleihung 1983 in insgesamt sechs Kategorien nominiert - aber eben nicht als „Bester fremdsprachiger Film“. Ins Finale berufen waren Wolfgang Petersen (Beste Regie sowie Bestes adaptiertes Drehbuch), Jost Vacano (Kamera), Hannes Nikel (Schnitt), Milan Bor, Trevor Pyke, Mike Le-Mare (alle Ton) sowie Mike Le-Mare (Tonschnitt). Mit Nominierungen in sechs Kategorien war die damals 32 Millionen Mark sehr teuere Produktion im Mannschaftsergebnis überaus erfolgreich - ein Titel blieb dem Filmklassiker aus den Achtzigern allerdings versagt. Dafür bedeutete „Das Boot“ den internationalen Durchbruch für Regisseur Petersen und Kameramann Vacano.
„Toni Erdmann“ als Ausreißer
Ernüchtert lässt sich also feststellen: In Hollywood erregt eine deutsche Produktion nur dann Aufsehen, wenn Kaiser Wilhelm, „Fritze Hitler“, die DDR oder Baader-Meinhof auf die Leinwand gebracht werden. Maren Ades wunderbare Komödie „Toni Erdmann“ muss hier als einmaliger Ausreißer gelten.
Hierzulande wird verfilmter Geschichtsunterricht traditionell vom Argwohn deutscher Kritiker begleitet. So hatten die Produzenten den DDR-Politthriller „Das Leben der Anderen“ 2006 auch als Wettbewerbsbeitrag für die Berlinale eingereicht, doch die Festspielleitung lehnte die Teilnahme ab. Auch die damalige Bundesregierung warf ein Auge auf die Ost-West-Geschichte: Kurz vor dem regulären Kinostart lud Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) die Bundestagsmitglieder zu einer Sondervorführung ein.
Ost-West-Konflikt im Feuilleton
Die Wessis im deutschen Feuilleton zählten in diesem Film zu viele Schauwerte amerikanischer oder französischer Thriller, die Ossis sahen allein in der Kölner Herkunft des Regisseurs eine kulturelle Aneignung. Der Jury in Hollywood war das mehrheitlich schnurzpiepsegal: Am Ende erhielt „Das Leben der Anderen“ den Oscar.
In dieser Hinsicht sind bei „Im Westen nichts Neues“ die Voraussetzungen gegeben: Während die „Süddeutsche“ mäkelte, dass der Film wenig mit Erich Maria Remarques Romanvorlage gemein habe, empfand der medial omnipräsente Militärhistoriker Sören Neitzel die „Erzählung von der bösen Generalität und den armen Soldaten, die geopfert werden“ als unsinnig.
Kriegsspiel als Kernkompetenz
Bei den britischen Filmpreisen (Bafta) in London allerdings räumte Edward Bergers Beitrag „Im Westen nichts Neues“ sensationell sieben Trophäen ab, auch in der Königssparte „Bester Film“ und für Regie. Kritiker Pete Hammond vom US-Onlineportal „Deadline“ bemerkte erstaunt, der Film sehe – insbesondere wegen seiner Kampfszenen – viel teurer aus als die tatsächlichen Produktionskosten nahelegen. Das Szenenbild entwarf übrigens Christian M. Goldbeck, der für die Dreharbeiten ein Schlachtfeld von 400.000 m² Größe mit über 1500 Metern an Schützengräben gestaltete. Es scheint so, als bleibe die Inszenierung von Kriegen in der Außenwahrnehmung eine deutsche Kernkompetenz.
Text: oli/anbeat.com
Foto: Netflix
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